Geert Van Poelvoorde, CEO ArcelorMittal Europe, warnt davor, beim Thema CO2-Neutralität den Fokus auf grünen Wasserstoff zu verengen. Zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie sei ein breites Portfolio an technischen Optionen erforderlich, die einzeln oder in Kombination eingesetzt werden könnten.
Weltweit suchen Stahlerzeuger den für sie richtigen Transformationspfad zur Klimaneutralität. Dass es dabei nicht nur die eine Lösung über erneuerbaren Strom und grünen Wasserstoff geben kann, machte Geert Van Poelvoorde, CEO von ArcelorMittal Europe, auf der Handelsblatt-Tagung „Zukunft Stahl“ deutlich: „Es gibt keine Einzellösung für eine CO2-freie Stahlerzeugung, ein breites Portfolio an technischen Optionen ist erforderlich, die einzeln oder in Kombination eingesetzt werden können.“
Beispielhaft nannte der Stahlmanager die Direktreduktion in Kombination mit der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, CCS). So sei CCS auch in Kombination mit Erdgas eine Option, um ein Netto-Null-Ziel zu erreichen. Allerdings gebe es bei CS noch einige Herausforderungen zu meistern. Da seien zum einen die hohen Kosten für die Abscheidung und Reinigung des Gases und zum andern das erforderliche Ökosystem vom Transport bis zur Speicherung, das erst noch entwickelt werden müsse. Auch müsste die Verordnung fertig gestellt werden.
Grundsätzlich sieht Van Poelvoorde zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie vier erfolgsversprechende Transformationspfade mit unterschiedlicher technologischer und wirtschaftlicher Reife. Der einfachste Weg: Stahl im Kreislauf zu halten und ein vermehrter Schrotteinsatz in den Prozessen. Das wird im Elektrostahlverfahren weltweit praktiziert, doch reicht das verfügbare Sekundärmaterial bei weitem nicht aus, um die globale Nachfrage nach Stahl zu decken. Der Verfahrensweg lässt sich allerdings noch optimieren. Erforderlich seien eine bessere Schrottsortierung und Trenntechnik, um auch schlechtere Schrottqualitäten mit großen Verunreinigungen verwerten zu können.
Der wohl bekannteste Transformationspfad führt über den Ersatz der kohlebasierten Hochofenroute durch die Direktreduktion mit Erdgas und/oder Wasserstoff zur Herstellung von direktreduziertem Eisen (DRI) in Kombination mit einem Elektrolichtbogenofen (EAF).
Eine weitere Option zur Dekarbonisierung sieht der ArcelorMittal-Manager aber auch in einer „intelligenten Stahlerzeugung mit Kohlenstoff“. Hierbei können unterschiedliche Verfahren zum Einsatz kommen. Der Edelstahlhersteller Outokumpu beispielsweise hält am finnischen Standort Tornio Kohlenstoff im Kreislauf, indem eine Pelletieranlage für Biokoks fossilen Koks durch nachwachsende Rohstoffe aus Biomasse ersetzt. ArcelorMittal selbst erprobt zwei weitere Verfahren. Das 3D-Projekt in Dünkirchen dient der Erprobung einer neuen Form der Kohlenstoffabscheidung und -nutzung oder -speicherung im industriellen Maßstab. Am Standort Gent sorgte ArcelorMittal bereits im vergangenen Jahr mit dem Projekt Steelanol für Schlagzeilen. In diesem ersten europäischen Projekt für Kohlendioxidabscheidung und Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) in Zusammenarbeit mit LanzaTech, ERM und Primetals wandelt eine Anlage an den Hochöfen die kohlenstoffreichen Abgase biologisch in Ethanol um.
Noch Zukunftsmusik, aber für Van Poelvoorde sehr viel versprechend, ist die elektrolytische Stahlerzeugung. Dabei wird aus Eisenerz durch Elektrolyse mit Strom reines Eisen erzeugt, indem Eisenoxid in seine Bestandteile Eisen und Sauerstoff aufgespalten wird. Bei ArcelorMittal geht man davon aus, dass die direkte elektrolytische Eisenerzreduktion zu einem sehr attraktiven Verfahren werden kann, sobald erschwinglicher sauberer Strom im Überfluss zur Verfügung steht. ArcelorMittal ist am Forschungsprojekt Siderwin beteiligt, das seit 2017 mit einer Pilotanlage im französischen Maizières-lès-Metz die direkte Elektrolyse im Industriemaßstab erforscht.